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TUTTLINGEN – Was ist aus den jungen Flüchtlingen geworden, die ohne Familie in Tuttlingen gestrandet sind? Der Gränzbote hat vor einem halben Jahr eine Wohngruppe im Bahnhof porträtiert. Nun haben wir nachgefragt, wie sich die zehn Jungen entwickelt haben. Petra Bäßler, die bei Mutpol für sie zuständig ist, ist voll des Lobes. Sie sagt aber auch: "Mittlerweile sind alle in der Realität angekommen." Die erste Euphorie sei verflogen.

Der Begriff "Unbegleitete Minderjährige Ausländer" (UMA) ist gerade stark in den Medien: Der 17-jährige Riaz A., der mehrere Menschen im Zug nach Würzburg mit einer Axt verletzt hat, war ohne seine Familie nach Deutschland gekommen und hatte bei einer Gastfamilie gelebt. "Das macht mich schon sehr nachdenklich, auch betroffen", sagt Bäßler. Sie fragt sich, was sie als Betreuer und Sozialarbeiter beitragen könnten, dass es nicht zu so einer Radikalisierung komme. "Wir sind gefordert, genau hinzuschauen und dagegen zu steuern."

Jugendliche der ehemaligen Wohngruppe Bahnhof waren auch beim
Kunstprojekt mit Georges Rousse dabei. FOTO: ARC/HECHT

In Vereinen aktiv

Grundsätzlich ist sie sehr zufrieden damit, wie sich "ihre" Jungs - ebenfalls "UMAs" – entwickelt haben. Mittlerweile besuchen alle die Vorbereitungsklasse der Steinbeis-Schule, der Unterricht im Bahnhof ist passé. Ihre Deutschkenntnisse haben sich enorm entwickelt. Das macht es auch möglich, Freundschaften zu knüpfen. Sie sind in Vereinen aktiv, allen voran im Fußball und im Volleyball. "Einige werden im nächsten Schuljahr ihren Hauptschulabschluss machen", verrät Bäßler. Andere bräuchten noch ein Jahr länger. Namen oder Details, die Rückschlüsse auf die Person zulassen, darf sie nicht nennen. Die Jugendlichen stehen unter dem Schutz des Jugendamtes und haben einen Vormund.

Die Wohngemeinschaft im Bahnhofsgebäude gibt es zwar noch, aber keiner der Jungs, der dort Weihnachten gefeiert hat, lebt noch hier. Sie sind alle schon einen Schritt weiter. "Betreutes Jugendwohnen" heißt die Form der Unterkunft, in denen sie jetzt leben. Immer noch zu mehreren, wie in der "Villa" in der Stuttgarter Straße. Aber mit weitaus weniger Betreuung als im Bahnhof. "Sie sind viel selbstständiger geworden", so Bäßler. Dazu gehört, dass sie ihren Alltag alleine managen müssen - aufstehen, einkaufen, kochen, Schularbeiten machen und Freizeit organisieren. Auch mit Geld müssen sie zurechtkommen. 404 Euro ist der Regelsatz für Hartz IV, der ihnen zusteht. "Das reicht gut zum Leben", findet die Betreuerin. "Aber so viel ist es eben doch nicht." Ein neues Handy kaufen, Klamotten, weggehen – das ist nicht drin. Dagegen können sie zu festgelegten Zeiten das Internet in der Unterkunft nutzen und so Kontakt zu ihren Familien halten. Bäßler: "Da schauen wir drauf, wenn sie das wünschen."

In der Realität sind alle angekommen, sagt die Betreuerin. "Sie haben gemerkt, dass viel von ihnen erwartet wird, dass sie sich zurechtfinden müssen und ihnen nichts geschenkt wird." Klar müsse ihnen sein, dass Schule und Beruf das Wichtigste sind. Bäßler: "Viel Zeit haben sie nicht." Das Jugendamt ist bis zum Alter von 18 Jahren für sie zuständig. Diese Grenze haben bereits einige erreicht. In Einzelfällen greift die Jugendhilfe bis 21 Jahren. "Bis dahin muss soweit alles gesichert sein, dass sie ihren Weg alleine gehen können."

Zugespitzt hatte sich die Situation im Herbst vergangenen Jahres, als die Zugangszahlen der Flüchtlinge Monat um Monat weiter stiegen. Und plötzlich Dutzende Kinder und Jugendliche ohne ihre Familien untergebracht werden mussten. Der Landkreis hat sich an die Jugendhilfeeinrichtung Mutpol gewandt, die sich um die UMAs gekümmert hat und das noch heute tut. Klar gab es eine gewisse Entspannung bei den Flüchtlingszahlen. Bäßler: "Aber es kommen ständig neue Jugendliche bei uns an." Nach wie vor gibt es eine Aufnahmegruppe auf dem Mutpol-Gelände: "Sie ist sehr voll", sagt sie. Auch sonst nimmt die Suche nach passendem Wohnraum einen Hauptteil ihrer Zeit in Anspruch und macht die größte Belastung aus: "Ob Haus, große Wohnung, kleine Wohnung oder Zimmer – wir brauchen alles und zwar dringend."

Ganz anders sind die Herausforderungen, die die Begleitung traumatisierter Jugendlicher mit sich bringt. "Es gibt sie, wenn auch nicht in großer Zahl." Hier kümmern sich die Betreuer von Mutpol um Hilfestellung und vermitteln Ansprechpartner. "Passende Konzepte müssen aber erst noch entwickelt werden", findet Bäßler.

Sie sorgt sich eher um jene, die sich aus anderen Gründen nicht zurechtfinden, die unterschwellige Aggressionen zeigen, auch gegen Betreuer und Mitbewohner. Deren Weg eben nicht klar ist, weil sie Probleme mit dem Spracherwerb und der Schule haben. "Viele von ihnen hatten komplett falsche Vorstellungen vom Leben in Deutschland", erkennt Bäßler. Aggressionen würden nicht geduldet und ein solches Verhalten auch deutlich angesprochen.

Um all diese Herausforderungen zu stemmen, hat Mutpol rund 20 neue Stellen für Sozialpädagogen geschaffen. Darüber hinaus hat sich ein umfassendes Netzwerk gebildet, auch mit Vertretern von Jugendamt, Schulen und Volkshochschule, was die Arbeit deutlich einfacher mache, weil die Strukturen klar seien.

Und die Jungs? Sie werden ihren Weg gehen, ist Petra Bäßler sicher. Welchen, das wird sich zeigen.


92 unbegleitete jugendliche Ausländer leben im Kreis Tuttlingen. Wie sich die Zugangszahlen weiter entwickeln, kann das Landratsamt nur schwer abschätzen. Doch geht man hier von einem weiteren Anstieg aus, denn derzeit sollen sehr viele Minderjährige in Italien anlanden und den Weg nach Mitteleuropa suchen.

92 Jugendliche ohne Familien im Kreis

92 unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) leben im Landkreis Tuttlingen, davon 66 im Stadtgebiet Tuttlingen. 30 sind im Erstaufnahmehaus bei der Jugendhilfeeinrichtung Mutpol untergebracht, 36 weitere in unterschiedlichen Betreuungseinrichtungen von Mutpol. Acht werden momentan in Gastfamilien betreut, drei Fälle wurden beendet. Drei Jugendliche, die sich in Zuständigkeit des Landkreises Tuttlingen befinden, halten sich in einer Jugendhilfeeinrichtung in Freiburg auf. Zwei UMAs leben bei Verwandten im Landkreis.

Weitere Ankünfte

Der Landkreis Tuttlingen wird in den kommenden Wochen weitere UMAs zugeteilt bekommen, so die Pressestelle, da er laut Landesverteilschlüssel aktuell ein Minus von neun UMAs hat. Seit 1. November 2015 wurden insgesamt 153 UMAs im Landkreis vorläufig in Obhut genommen und betreut. Von diesen sind die genannten 92 in tatsächlicher Betreuung. Die restlichen sind entweder durch Volljährigkeit, dauerhafte Abgängigkeit, Familienzusammenführung oder durch Aufenthalte bei Verwandten oder Bekannten im Bundesgebiet aus der Betreuung ausgeschieden.

Gastfamilien

Der Landkreis verfügt über neun Gastfamilien. "Konzeptionell haben wir festgestellt, dass das klassische Konzept der Betreuung in Gastfamilien und der Anspruch einer beziehungsmässigen Integration in die jeweilige Familie aufgrund des Alters der UMA nicht immer passt", so das Jugendamt. Das Konzept werde überarbeitet, sodass es bei Aufenthalt in einer Gastfamilie weniger um familiäre Integration geht als um Wohnen mit Familienanschluss, das je nach Selbstständigkeit eines UMA mehr oder weniger Betreuungsanteile bedarf. "Wir sehen grundsätzlich in einer dezentralen Unterbringung höhere Integrationschancen."


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