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KREIS TUTTLINGEN - Die Lage ist alarmierend: Im vergangenen Jahr ging beim Landratsamt oder bei der Polizei fast jeden Tag eine Meldung ein, weil Leib und Leben eines Kindes gefährdet waren. "Kindeswohlgefährdung" heißt der Fachbegriff, und der Landkreis erreichte mit 305 Fällen einen neuen Höchststand. Darüber hinaus waren die "Inobhutnahmen", wenn sich also die Meldungen als berechtigt erweisen und die Kinder den Eltern weggenommen werden müssen, deutlich höher als im Landesdurchschnitt. Nicht zuletzt: Die "dramatischen Einzelfälle" steigen ebenfalls. Das hat Sozialdezernent Bernd Mager jetzt dem Kreistag berichtet. Tiefpunkt war der Tod der zweijährigen Maya an Pfingsten 2012.
 

"Heile Welt gibt es nicht mehr"

Nicht nur bei Mager wirkt das Entsetzen nach: "Im Vergleich zu anderen Landkreisen ist das beängstigend", sagte er. Weiteres Unbehagen bereitet ihm und den Verantwortlichen die Tatsache, dass sie bisher keine schlüssigen Erklärungen für die Gründe gefunden haben. Es könnte auch sein, mutmaßt Mager, dass hier im Landkreis genauer hingeschaut werde. Das wäre die gute Nachricht, meint Landrat Stefan Bär. Allerdings wollen er und Mager sich nicht damit begnügen. Sozialplaner Wolfgang Hauser sei derzeit dabei, berichteten sie, den Ursachen auf den Grund zu gehen.

"Es gibt die heile Welt auch bei uns nicht mehr", stellte Anton Stier, der CDU-Fraktionsvorsitzende, fest. Das beste Mittel sei Vorbeugung, wobei eine enge Zusammenarbeit des Landratsamtes mit den Städten und Gemeinden den größten Erfolg verspreche. Willi Kamm, der SPD-Sprecher und Tuttlinger Baubürgermeister, bekräftigte: "Die Gesellschaft hat sich dramatisch verändert. Die früheren Familienstrukturen, als viele Mütter noch daheim waren oder Opa und Oma aushalfen, gibt es immer weniger. Wir brauchen eine professionelle Beratung und eine Kultur des Hinschauens", forderte Kamm. Und er betonte: "Sozialausgaben sind keine Kosten."

Das provozierte Rudolf Wuhrer, den Sprecher der Freien Wähler, zu der Bemerkung: "Dann freue ich mich schon auf die nächsten Haushaltsberatungen." Wuhrer wies als Erklärungsversuch darauf hin, dass Tuttlingen eben auch ein kinderreicher Landkreis sei, was automatisch zu einer höheren Gefährdungsquote führe. Das sei nicht nur Sache des Jugendamts, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe, so der FW-Fraktionssprecher. Er bezeichnete die Zahlen als besorgniserregend, betonte aber auch, man dürfte sie auch nicht überbewerten.

Nach Ansicht von Hans Martin Schwarz von der Offenen Grünen Liste (OGL) werden die offenen Träger wie der Kinderschutzbund zu wenig einbezogen. Paul Haug, der Sprecher der FDP, gab zu bedenken, dass der Datenschutz oft auch ein Hemmschuh sein könne und benannte das Hauptproblem aus seiner Sicht mit einem Satz: "Im Fall Maya war es eine Kultur des Wegschauens."

Sozialdezernent Mager wies darauf hin, es gebe "keine 100-prozentige Sicherheit", dass sich ein Fall wie Maya nicht wiederhole. Im Landkreis Tuttlingen lebten 31.000 Kinder und Jugendliche, das Jugendamt verfüge über zehn Mitarbeiter, die für die verschiedenen Teile des Landkreises zuständig seien.

Der Kreisrat begrüßte einstimmig die Handlungsempfehlungen der "Projektgruppe Kindeswohlgefährdung", die Landrat Bär gleich nach dem Tod von Maya eingesetzt hatte, und die seither in vier Sitzungen die Probleme thematisierte. Insgesamt waren 13 Personen beteiligt - von der Hebamme bis zum Mutpol-Leiter Dieter Meyer.
 

Die Empfehlungen der Projektgruppe

Ein Krisen-Interventionsdienst soll dem Jugendamt in Kooperation mit der Polizei notfalls ein sofortiges Eingreifen ermöglichen. Kreisrat Bernhard Schnee (CDU) warnte allerdings davor, "das Maß nicht zu verlieren".

Das Netzwerk "Frühe Hilfen" hat sich bewährt, auch die Zusammenarbeit mit den Kinderärzten, jetzt soll sie um eine halbe Stelle aufgestockt werden. Die Finanzierung übernimmt der Bund.

Familienberatungsstellen sollen in möglichst vielen Städten und Gemeinden eingerichtet werden. Die Berater können über ein Bundesprogramm qualifiziert werden.

Tipps für Schulen sollen in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Schulamt Konstanz erarbeitet werden.

Vier spezialisierte Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, gibt es bisher im Landkreis. Jetzt sollen zwei weitere Personen ausgebildet werden.

An der Kampagne "Kein Raum für sexuellen Missbrauch" beteiligt sich der Kreis mit 5.000 Euro.
 

Inobhutnahmen 2012

Tuttlingen 37 | Geisingen/Immendingen 16 | Spaichingen 14 | Trossingen 13 | Aldingen 11 | Neuhausen 6 | Fridingen 5 | neun weitere Gemeinden 14 | außerhalb des Landkreises 5

Zur Rückkehr in die Familie kam es in 52 Prozent der Fälle.

Die weiteren Folgen: 19 Prozent Heim | 14 Prozent Vollzeitpflege | 14 Prozent ambulant |vier Prozent Abgabe des Kindes


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